Ein Pferdemädchen ohne Pferd ist eben nur ein Mädchen

Mir fehlt ein Teil von mir. Ein 850 Kilo schwerer Teil.

Ich war noch in der Grundschule, als die Große zu uns gekommen ist. Ich weiß nicht mehr so genau, wie ein Leben ohne sie aussah. Und was ich eigentlich mit meiner freien Zeit gemacht habe…

Ihr Tod quält mich. War das wirklich die richtige Entscheidung? Für sie? Für mich? Hätte man nicht noch warten können? Habe ich viel zu lange gewartet?

Wäre es ihr akut schlecht gegangen, könnte ich wohl besser damit leben. So habe ich das Gefühl, es hat nur uns und dem Tierarzt in den Kram gepasst.

Am Ende war auch alles so hektisch. Da ist ja noch das Pferd meiner Mutter, wir mussten die beiden trennen, ohne dass sie den Braten riechen und ausrasten. Den richtigen Moment abpassen und dann schnell, schnell.

Meine Große war – nach der ersten  Was-ist-den-mit-der-Alten-was-will-die-denn-Haltung – am Ende sehr anhänglich und hat die Aufmerksamkeit genossen. So ist sie mir dann, ganz eng an mich gekuschelt, auf ihrem letzten Gang artig gefolgt  und nicht – wie man es von ihr erwartet hätte – beim Anblick des Tierarztes getürmt. Jetzt habe ich das Gefühl, mir ihr Vertrauen erschlichen und es missbraucht zu haben… Auch wenn ich mir einzureden versuche, dass ich ihr nur Stress erspart habe.

Ich habe nicht das Gefühl, mich richtig von ihr verabschiedet zu haben. Ihr gezeigt zu haben, dass das alles nicht stattfindet, um sie zu ärgern. Dass meine Anwesenheit bedeutet, dass ich sie lieb habe. Dass es mir leid tut, um all die Zeit, die ich mir nicht für sie genommen habe. Um all die Male, die ich aus der Haut gefahren bin, weil sie ein Biest war. Um all die Male, die ich aus der Haut gefahren bin, weil sie die Kooperation eingestellt hat, weil ICH einen Fehler gemacht hatte.

Es fühlt sich unvollständig an, weil ich mir nicht den einen kleinen Moment genommen habe, sie nach ihrem Tod noch einmal zu kuscheln. Weil ich meine Mama nicht so lange allein mit dem anderen Pferd lassen wollte. Weil ich nicht einschätzen konnte, wie er reagiert. Weil wir ihn schließlich auch versorgen mussten. Da man ein Pferd nicht alleine halten kann, haben wir ihn vorübergehend in einem nahegelegenen Reitstall untergebracht. Die Haftanstalt, wie ich ihn nenne. Als ich das arme, eingeschüchterte Tier zwischen lauter fremden, unfreundlichen Pferden in der Gitterbox da zurücklassen musste und er mir kläglich hinterherwieherte, ist mir gleich noch mal das Herz gebrochen…

Dass ich für das andere Pferd einfach noch ein bisschen weiter funktionieren musste, hat mich vor einem Zusammenbruch auf freiem Feld bewahrt. Aber ich fürchte, es wird mich noch ewig verfolgen, dass meine letzte Erinnerung an die Prinzessin ist, wie meine Hand ihre noch warme Nase berührte, als ich sie zudeckte. Und ich weggezuckt bin, weil ich darauf so gar nicht vorbereitet war…

21 Kommentare zu “Ein Pferdemädchen ohne Pferd ist eben nur ein Mädchen

  1. Der letzte gemeinsame Weg ist der schwerste, vorallem wenn wir als Mensch über Leben und Tod entscheiden müssen. Ich kann das sehr gut nachempfinden und es tut mir sehr leid für dich / euch. In solchen Momenten stelle ich mir vor, wie das Tier fröhlich und schmerzfrei über die Wiese springt und erinnere mich an all die vielen schönen Momente.

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  2. Du hast mit Sicherheit aus vollem Herzen das Richtige getan und das wird sie gespürt haben und nur deshalb ist sie mit dir mitgegangen. Weil sie mit deiner Entscheidung einverstanden war und es auch gewollt hätte. Sie wird deine Liebe gespürt haben!!
    Es wird lange dauern, bis der Schmerz nachlässt, aber dann wirst du ihr eine Ecke in deinem Herzen ganz fest einräumen und sie wird immer lebendig für dich sein. Ich wünsche es dir von Herzen, dass es so schnell wie möglich geht. Trauer ist der beste Weg dorthin. Nicht verdrängen.

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  3. Nachdem ich deinen letzten Blogpost gelesen habe, dachte ich mir schon, dass du zu einem späteren Zeitpunkt noch ausführlicher dazu schreiben wirst. Und das finde ich gut. Eine Euthanasie ist immer eine richtig beschissene Sache (nicht nur) für den Tierbesitzer. Und selten, ganz selten, ist es leider so, dass man danach sagt: ja, das war gut so, es ist alles so gelaufen, wie ich mir das vorgestellt habe. Mit Ruhe, Bedacht und der nötigen Zeit zum Abschiednehmen.

    Die Euthanasie ist die schwerste Sparte im tierärztlichen Beruf. Damit tun sich viele sehr, sehr schwer, und ich habe von einigen gehört, die daran kaputtgegangen sind und ihre Praxis aufgegeben haben. Aus diesem Grund geben die Tierärzte der Euthanasie nicht so viel Raum (im Sinne von Zeit). Meist läuft es aus dem Grund so ab, wie du es beschrieben hast. Schnell, zack, zack, fertig. Weg. Das ist in einem gewissen Maße auch verständlich, aber für die Tierbesitzer oft traumatisch. Man kann jetzt darüber diskutieren, ob es nicht sinnvoll wäre, die Sache von hinten aufzudröseln und dafür zu sorgen, dass Tierärzte die nötige psychologische Unterstützung/Schulung erhalten oder ob sie eben nicht praktizieren sollten, wenn sie aufgrund mangelnder psychischer Belastbarkeit nicht in der Lage sind, diesen letzten Schritt gescheit durchzuführen. Es ist ein heikles Thema, und es hilft dir an dieser Stelle auch überhaupt nicht weiter. Ich wollte lediglich ein paar Worte darüber verlieren, warum es meistens so scheiße abläuft, wie du es auch erlebt hast.

    Auch, was den richtigen Zeitpunkt betrifft, scheiden sich die Geister sehr stark. Die einen sagen: lieber etwas früher, um dem Tier Leid zu ersparen, die anderen warten ein wenig länger, bis sie eindeutige Signale vom Tier bekommen. Aber gerade Pferde als Fluchttiere neigen eher dazu, ihre Gebrechen so gut es geht zu verbergen, so dass selbst die Tierbesitzer nicht genau wissen, wie es wirklich um ihr Tier steht. Ich denke, der Termin war mit Bedacht von dir gewählt, so dass du auch da keine Gewissensbisse haben solltest. Absolut auf den Punkt genau kann man es nie bestimmen!

    Was deine Prinzessin betrifft… ich denke, sie wußte, dass ihre Zeit gekommen ist. Tiere spüren das, und deshalb denke ich, dass sie bereits vor der Euthanasie ihren Frieden gemacht hat. Du hast sehr viel Zeit mit ihr verbracht die letzten Tage, ihr nochmal deine ganze Liebe gegeben, wenn sie da nicht erfahren hat, was sie dir bedeutet, wann dann? Sie kannte dich, ihr habt so viele Jahre miteinander verbracht… Tiere haben feine Antennen und wissen, wers gut mit ihnen meint. Deshalb mach dir bitte keine Vorwürfe. Ich bin sicher, deine Prinzessin wußte ganz genau, dass du sie liebst.

    So ein Verlust ist schrecklich. Du darfst trauern und hast alle Zeit der Welt, damit abzuschließen. Es dauert so lange, wie es eben dauert. Ich wünsch dir ganz viel Kraft und hoffe, dass, wenn die Trauerzeit vorbei ist, du gerne wieder an deine alte Dame zurückdenkst, mit der du ganz sicher im Laufe der Zeit viele Abenteuer erlebt hast 😉

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    • Danke für deine Worte.
      Es ist leider schon das zweite Mal, dass ich das mitmachen musste, ich hatte damals noch ein Pony. Als es bei ihm so weit war, konnte ich diese Entscheidung reinen Gewissens treffen, da er deutlich zu verstehen gegeben hat: Ich hab für dich gekämpft, aber jetzt gehts nicht mehr. Damals war das Unschöne für mich eigentlich nur, dass eben nicht „unser“ Tierarzt, zu dem ich ein gutes Verhältnis habe und der das Pony sehr mochte, kommen konnte, sondern nur seine grummelige Urlaubsvertretung, der den Kleinen nur einmal – Jahre zuvor – gesehen hatte und natürlich überhaupt nicht kannte. Der war dann sehr geschäftsmäßig.
      Unsere Tierärzte sind halt echte Landtierärzte, die haben es meistens mit „Nutz“tieren zu tun, deren Halter natürlich nicht so ein enges Verhältnis zu Tieren haben. Da ist so eine Situation natürlich Mist. Er hats versucht, hat das Prozedere erklärt, das ich ja nun schon kannte und auch gar nicht hören wollte, ich hatte nur Angst, dass mein Mädchen doch noch anfängt, zu zicken. Ich bin dann auch oft so, dass ich in einer schweren Situation eine Art „Fluchtverhalten“ zeige und mich hinterher ärgere, dass ich so hektisch war.
      Die Euthanasie ist der Grund, warum ich nie Tierärztin werden wollte, auch wenn das viele erwartet hatten. Mittlerweile arbeite ich auf „was mit Tieren“ hin, aber Tierärztin werde ich allein aus diesem Grund NICHT!

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      • Das kann ich gut verstehen. Auch mich hat das davon abgehalten, in den tiermedizinischen Beruf tiefer einzusteigen. Vielleicht wäre der Tierheilpraktiker was für dich. Falls du das ernsthaft in Erwägung ziehst, ping mich an – ich kann dir ein paar weiterführende Infos dazu geben, inklusive seriöser Ausbildungsinstitute.

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  4. Könnte fast mitweinen. Wünsche dir viel Kraft für die Trauerarbeit! Und wünsche dir, dass du deinen Frieden mit der Sache findest.

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