Der Stecher des Jahrtausends

Wir sehen das TV-Duell in feucht-fröhlicher Runde. Ich kenne nicht alle Anwesenden, habe aber direkt ein Stück Frischfleisch entdeckt, das mir ausgesprochen sympathisch ist. Und Ahnung hat er auch. Und eine ganz akzeptable Meinung. Ficken? Also… nachher…?

Und dann ist da noch Herr W. Herr W., der mir zunächst gar nicht aufgefallen war. Er ist klein, dick, flusigblonde Metalerfrise, schwarzes Bandshirt. Zwischendurch bekomme ich mit, dass er irgendwas mit IT macht.

Ziemlich bald stößt er mir recht sauer auf, weil der Herr W. ja alles weiß und dazu alles besser – nachdem er selbst das Thema gewählt hat. Gerne fragt er: Wisst ihr warum…? Und auf die kollektive Antwort: Ja, wissen wir! erläutert er, warum. Oär.

Während mein Prachtexemplar mir ein Bierchen holt und Frau L., die zu meiner Linken gesessen hatte, sich ins Raucherkabuff zurückzieht, rutscht Herr W. neben mich aufs Sofa. Öh, pardon? Er beginnt mir die Inhalte des Duells, das wir gerade hinter uns gebracht haben, zu erklären.

ÖH, PARDON, MON CHER? Vielleicht hättste dich vorher erkundigen sollen, was ich beruflich mache? Zuhören, was andere sagen und albern? Dann hättste mitgekriegt, dass ich mal die Vorgesetzte des Gastgebers war. Dass ich mich 24/7 mit sowas beschäftige. Du kannst gerne deine Meinung darlegen, dich nach meiner erkundigen und dann reden wir drüber. Aber mir aktuelle Tagespolitik erklären? Verzeihung, wenn ich lache…

Ich wende mich wieder dem Männchen zu, dessen Balzverhalten deutlich besser zu meiner Art passt. Und kuschlig ist er auch… mmmh 🙂

Herr W. guckt konsterniert und kaum verlässt mein großartiges Nummernpotenzial den Raum, um mit den Jungs zu tun, was Jungs tun müssen, drängt er sich wieder auf. Und verkündet, er habe erst kürzlich Seminare darüber gegeben (!), wie man Mädchen (!) aufreißt. Ich überlege, ob ich zu tief ins Bier geguckt habe, ob ich ihn falsch verstanden habe oder beides. Ich hoffe beides! Wirklich. Für ihn.

Ich weiß gar nicht, was ich antworten soll und wende mich ab, um schnellschnell einen neuen Gesprächspartner zu finden. Glücklicherweise betreten in diesem Moment Frau L. und McHotty den Raum und Frau  L. fläzt sich zwischen mich und Herrn W. Auch sie hat stattliche Brüste und kann so seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Es dauert 30 Sekunden, bis Frau L. irritiert guckt. Dann höre ich, wie er „Fräulein“ sagt und sie an die Decke geht. Sich diese Bezeichnung verbittet. Er „Frauchen“ sagt. Ich denke, dass sich verdammt viele Stichwaffen im Raum finden, die Jungs kommen vom Campen. Wo eigentlich der Wischlappen lagert. Sie dreht sich zu mir und murmelt für alle im Raum deutlich hörbar (jahrelange Theatererfahrung): „Er könnte so nett sein, wenn er er selbst wäre. Aber so Chauviallüren machen mich wütend.“ Er verlangt Erklärung.

Der strahlende Ritter Herr P. betritt den Raum und verhindert das Massaker. Herr P. ist der schönste Mann der Stadt. Er ist klug. Er hat Humor. Er hat sicher eine dreistellige Anzahl an Nummern durch sein Bett geschleust. Frau L. und ich heißen ihn jubelnd willkommen. Noch nie haben wir uns so gefreut, ihn zu sehen. Du musst dich nicht ausziehen, das machen wir schon, wenn du dich nur zwischen uns und ihn setzt. Ihn mit deinem Geruch nach Sex überstrahlst.

Irgendwann sind wieder fast alle rauchen. Herr P. will nur kurz die Augen zu machen, doch Herr W. meint, ihm politische Ereignisse einer Stadt, in der er nicht lebt, erläutern zu müssen. Der Stadt, aus der Herr P. kommt. Hätte man erst fragen können, muss man ja aber nicht. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder schreien soll und verlasse fluchtartig den Raum. Rausche ins Damenzimmer. Die Gastgeberin bittet tausendfach um Entschuldigung. Und um Nachsicht. Der arme Herr W. habe schließlich noch nie eine Freundin gehabt. Frau L. kommt aus dem Lachen nicht mehr heraus. Begibt sich in die Höhle des Löwen. Und kurz darauf darf die halbe Straße miterleben, wie Frau L. Herrn W. mitteilt, er sei hässlich, dumm und humorlos und seine einzige Chance auf Ficken sei Authentizität. Während die halbe Straße nach Luft schnappt entgegnet er: Allein die Tatsache, dass sie und ich mit ihm redeten, zeige ja, dass seine Strategie erfolgreich sei.

Wir müssen einschreiten. Frau L. ist zu erkältet für einen solchen Lachkrampf.

Wir verwickeln sie in ein Gespräch über unsere BHs und während wir gegenseitig unsere Unterwäsche in Augenschein nehmen und uns selbst und einander an die Brüste greifen, kriegen die armen Jungs Schluckauf. Herr W. ist angenehm still. Und ich kann mich schließlich wieder meinem Sahneschnittchen widmen. Das zwar mit schwerer Zunge beteuert, noch für Bettsport zur Verfügung zu stehen, gegen halb drei jedoch schließlich selig lächelnd in Herrn T.s Schnarchkonzert einstimmt. Pfüüh.

Wir lassen also die Schwächelnden zurück und erst als Herr P. in der Küche die Hand unter meinem T-Shirt meinen Rücken krault (schnurrr), regt Herr W. sich wieder. Lässt uns an seinen unendlichen Weisheiten teilhaben. Bevor ihm noch alle Felle davonschwimmen. Selbst der unerschütterliche Herr P. wird langsam ungehalten.st. Denn auch konsequentes Ignorieren wirkt nicht ruhestiftend. Wir sind am Rande der Verzweiflung.

Und am Ende war es dann so leicht, Herrn W. zum Schweigen zu bringen. Denn irgendwann sehen wir uns genötigt, ihm zu erläutern, dass man durch Petting durchaus schwanger werden kann, stellt man sich dumm genug an (hat der Mann denn nie die Bravo gelesen? Ächz). Ich demonstriere das mit einem beherzten Griff in Herrn P.s Schritt, Herr P. übernimmt und greift ebenfalls beherzt in meinen Schritt. Himmlische Ruhe.

Ich rufe an dieser Stelle die Teilnehmer der Seminare des Herrn W. auf, sich bei mir zu melden. Ich möchte ihnen die Teilnahmegebühr erstatten. Ich glaube, der Stecher des Jahrtausends ist nicht nur Dauersingle, sondern auch Jungfrau…

19 Kommentare zu “Der Stecher des Jahrtausends

  1. Erfreulich am Altern ist ja -neben der Tatsache, dass man nicht mehr meint, jemandem etwas beweisen zu müssen – dass sich Einladungen zu Anlässen, bei denen sich derartige Männer beiderlei Geschlechts tummeln, in arg überschaubaren Grenzen halten während Einladungen zu Anlässen mit völlig angenehmen und entspannten Menschen in einem Maße eintreffen, das durchaus als erfreulich zu bezeichnen ist.

    … zumindest wenn man nicht unterwegs eine falsche Abfahrt genommen hat.😇

    Like

    • „derartige Männer beiderlei Geschlechts“ ist gut 😉
      Ich mag die Runde eigentlich sehr, wir haben immer irre viel Spaß. Das Sahneschnittchen und Herr W. waren neu. Ersterer hätte gern eher auftauchen können, Herr W. wäre besser ganz im Geburtskanal stecken geblieben!

      Like

  2. Pingback: Bett, mon amour | Begrabt mich mit dem Gesicht nach unten

  3. Pingback: Train-train | Begrabt mich mit dem Gesicht nach unten

  4. Pingback: Sexbehinderungen | Begrabt mich mit dem Gesicht nach unten

  5. Pingback: Splitter | Begrabt mich mit dem Gesicht nach unten

Hinterlasse eine Antwort zu Darf man das? Antwort abbrechen

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..