Nachdem mein in unserer Zweisamkeit recht aufmüpfiges, außerhalb seiner Komfortzone jedoch reichlich ängstliches Kätzchen monatelang nur im Blumenpott saß und auf den Innenhof herabschaute und ich nicht unzufrieden davon ausging, dass es einfach kein Freigänger sein möchte, beschloss es vor einigen Wochen von einem Moment auf den anderen, doch ins Grün hinabzusteigen.
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Ich habe eine ganze Weile gebraucht, um zu akzeptieren, dass ich jetzt nicht mehr 24/7 helikoptern kann und dass Kitten vor all dem Schlimmen da draußen beschützen kann. Und dass es jetzt ein zweites Leben da draußen hat, in dem ich keine Rolle spiele. Ich kann immer noch nicht schlafen, solange sie rumstromert. Auch wenn ich ja weiß, dass Katzen so müssen.
Zum Glück habe ich bisher ein recht artiges Aschenputtel, das pünktlich mit Einsetzen der Dämmerung ins Grün hüpft und pünktlich gegen Mitternacht wieder zurückkommt. Und es ist herzerwärmend zu sehen, wie sie über die Wiese tobt und Insekten jagt, durch die Büsche spurt und die Bäume hochrennt. Sie lauert auch Vögeln auf, aber die Amseln haben längst allen Bescheid gesagt und ihre Attacken lösten bei mir und bei den Piepmätzen bisher nur Gekicher aus. Die Hoffnung, dass mein Duracell-Kätzchen durch Rennen, Jagen, Klettern in der Wohnung mal einen Gang runterschaltet, hat sich keinesfalls erfüllt. Neuerdings bringt sie um Mitternacht statt eines Prinzen bereits flugunfähige, aber noch sehr lebendige, dicke Nachtfalter mit, da kann man sich auch noch ein, zwei Stunden in der warmen Wohnung mit beschäftigen.
Ich finde das Falter-Leid schwer erträglich – das Dilemma eines fühlenden Katzenbesitzers. Gestern Abend kam dann das Aschenputtel früher rein, seine Ankunft laut verkündend, stolz geschwellte Brust, eine sehr tot aussehende Spitzmaus im Maul. Ich wollte mich gerade beeindruckt zeigen, ob des doch recht unverhofften Jagderfolgs, ich gebs ja zu, ich habs ihr gar nicht zugetraut. Da setzt sie das Insektenfresserchen neben mein Bett und es ist sehr lebendig.
Für einen Moment erwäge ich, dem Gang der Dinge einfach seinen Lauf und die Katze ihr Werk beenden zu lassen, doch dann denke ich daran, dass Spitzmäuse im Gegensatz zu ihren Namensvettern zwar eher Nütz- als Schädlinge sind, aber dennoch Exkremente hinterlassen und überhaupt, das arme Tier und nicht in meinem Schlafzimmer! Und boar, das arme Mäuschen. Das auch noch so zuvorkommend war, direkt aus dem Zimmer in den Flur zu flüchten und sich unter einem Schuh zu verstecken.
Ich fange durchdrehende Pferde, panische Schafe, empörte Enten – eine Spitzmaus in Todesangst bringt mich an meine Grenzen. Das Tier ist schnell und passt selbst unter der Tür durch, ich hab keine große Lust, gebissen zu werden und noch mehr weh tun will ich dem armen Ding auch nicht. Plötzlich verstehe ich, warum Leute angesichts so kleiner und harmloser Tiere kreischen, was ja auf den ersten Blick mal gar nix bringt: Es ist enorm befreiend. Die Spitzmaus verschwindet unter einer Fußleiste und ich gebs auf. Wenn sie da reinpasst, hab ich keine Chance.
Ich freunde mich mit dem Gedanken an, dass ich jetzt eine weitere Mitbewohnerin habe und finde das eigentlich gar nicht mehr schlimm, gebe ihr sogar einen Namen und hoffe, dass sie doch irgendwie unverletzt geblieben ist. Auch wenn ich weiß, dass sie eigentlich auch keine Chance hat: Spitzmäuse sterben schon nach wenigen Stunden ohne Futternachschub und was die wilde Flucht an Kalorien verbraucht hat, kann man sich ja ausrechnen.
Ich versuche, für den Rest des Abends nicht mehr drüber nachzudenken, als die Katze wieder aufdreht: Das Hinterteil der Spitzmaus kommt unter der Fußleiste hervor und ich sehe mich gezwungen, doch noch zu handeln. Ich will sie rausziehen, sie wehrt sich, hängt fest, kommt weder vor noch zurück, ist jetzt wirklich verletzt, die Katze tobt und ich heule hysterisch, während unter meiner Hand die Lebensgeister schwinden.
Am Ende ist die Spitzmaus tot, die Katze sauer, meine Wohnung wieder eine 2er-WG und ich bin fertig mit den Nerven. Ich werde den Gedanken an die Angst und den Schmerz des armen Dings nicht los, das am Ende nicht mal den Zweck erfüllte, den Jagdtrieb meiner Katze abschließend zu befriedigen.
Ich hatte gedacht, dass es ausreichend Grenzerfahrung ist, Fleisch einzukaufen und zuzubereiten, als die Katze hier einzog. Hübsch portioniertes Katzenfutter ist schon leichter zu ertragen, aber auch da darf ich nicht zu genau drüber nachdenken. Ihr selbstgefangener Mitternachtssnack… Augen auf beim Einsammeln halb verhungerter Katzenbabys in Tiefgaragen, kann ich da nur sagen. Da rettet man ein Tier und tötet das andere (und ja im Grunde nicht nur das).
😩